Der Begriff Agorismus geht auf die Schriften des Anarchisten und Philosophen Samuel Edward Konkin III zurück und ist nach dem griechischen Wort für Marktplatz (agora) benannt. Konkin veröffentlichte 1979 das New Libertarian Manifesto, in dem er seine Argumente für einen Zweig des Libertarismus darlegte, den er New Libertarianism nannte. Die Philosophie hinter der neuen libertären Bewegung war der Agorismus. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um eine radikale Philosophie, die eine Gesellschaft ohne Zwang und Gewalt befürwortet und die Menschen ermutigt, aus dem Kontrollnetz von Unternehmen und Staaten auszubrechen. Konkin argumentierte, dass der Staat zusammenbrechen würde, sobald sich eine ausreichend große Zahl von Menschen aus Unternehmen und staatlichen Institutionen zurückziehen würde. Durch den Entzug von Geld, Zeit und Unterstützung würden genügend Ressourcen entzogen. Während des Zusammenbruchs des Staates würden die Agoristen helfen, gewaltfreie und informelle Systeme aufzubauen.
Der Agorismus beruht auf dem Non-Aggression Principle (NAP), auf Deutsch oft als Prinzip der Gewaltfreiheit oder Prinzip der Nichtaggression bezeichnet. Dieses ethische Grundprinzip besagt im Wesentlichen, dass jede Form von Gewaltanwendung oder Aggression gegen Individuen oder ihr Eigentum ohne deren Zustimmung moralisch unzulässig ist. Der Einsatz von Gewalt zum Selbstschutz und zur Verteidigung der eigenen Freiheit ist jedoch notwendig und nicht abwendbar.
Deshalb lehnt der Agorismus die Verwendung von Gewalt zum Sturz des Staates oder zum Erreichen eigener Ziele ab. Ein gewaltsamer Sturz einer korrupten Regierung führt, wie in der menschlichen Geschichte ausreichend belegt, nur dazu, dass eine andere Gruppe eintritt und das Spiel fortsetzt. Der Agorismus lehnt ebenso die Teilnahme an politischen Wahlen ab, da es als die Teilnahme an einem unmoralischen System und als unzureichende Strategie für dauerhafte Veränderungen angesehen wird. Jeder Staat ist per Definition ein Gewaltmonopol und widerspricht somit den agoristischen Prinzipien. Anstatt zu wählen oder Gewalt anzuwenden, eröffnet der Agorismus einen dritten Weg für alle Freiheitsuchenden. Diese Philosophie des Nonkonformismus zielt darauf ab, den Staat durch offene Märkte überflüssig zu machen. Das geschieht vor allem durch gezielte Aufklärung und Bildung der Bevölkerung über die auf Gewalt und Zwang basierenden Mechanismen eines jeden Staates, sowie durch die Selbstermächtigung des einzelnen Bürgers, eigene Wege außerhalb des staatlichen Kontrollnetzes zu finden.
Der Agorismus lehnt den Etatismus ab, das heißt die Tendenz, den Staat als Mechanismus zur Herbeiführung von Veränderungen zu betrachten. Agoristen vertrauen nicht auf die Autorität des Staates und sehen den Staat nicht als Lösung, sondern vielmehr als Verursacher gesellschaftlicher Probleme.
Counter-Ökonomie als Kernkonzept
Der Agorismus nutzt verschiedene Kernstrategien zur Umsetzung der eigenen Philosophie. Die ökonomische Strategie der Counter-Ökonomie ist dabei als erstes zu nennen. Counter-Ökonomie ist das Studium und die Praxis menschlicher Handlungen, die vom Staat nicht akzeptiert werden und keine Gewalt oder Gewaltandrohung beinhalten. Sie umfasst Handlungen, die sich dem Staat entziehen, ihn meiden und sich ihm widersetzen. Durch die Schaffung alternativer Systeme außerhalb staatlicher Kontrolle soll der Staat entmachtet und die Freiheit der Menschen bewahrt werden. Der Agorismus strebt somit eine Gesellschaft an, in der die Menschen Waren und Dienstleistungen frei und ohne Einmischung des Staates austauschen können. Es ist für die Teilnahme an der Counter-Ökonomie nicht notwendig, sich als Libertärer oder Anarchist zu bezeichnen. Ein Counter-Ökonom ist jeder, der eine counter-ökonomische Handlung praktiziert oder solche Handlungen studiert. Dazu gehört jede menschliche Handlung, die ohne die Zustimmung des Staates durchgeführt wird. Da Gesetze fast jede menschliche Aktivität regeln, muss jeder in gewissem Maße Gesetze beugen oder brechen, nur um zu existieren. Das bedeutet, dass jeder Mensch in gewisser Weise ein Counter-Ökonom ist. Diese Strategie kann von jedem überall auf der Welt praktiziert werden, unabhängig von seiner Herkunft oder politischen Zugehörigkeit.
Agorismus im 21. Jahrhundert
Obwohl die agoristische Philosophie bis heute in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt ist, haben vor allem in Nord- und Mittelamerika einige Aktivisten das Konzept aufgegriffen und weiterentwickelt. So gründeten die Agoristen und Journalisten Derrick Broze und Neil Radimaker 2013 das unabhängige Mediennetzwerk The Conscious Resistance . Derrick ist außerdem Mitbegründer des Freedom Cell Network, einer Gruppe von mittlerweile über 30.000 Mitgliedern weltweit, die sich dem Aufbau einer freieren Welt verschrieben haben. Er ist auch Co-Produzent der Greater Reset Activation, einer jährlichen mehrtägigen Veranstaltung mit Teilnehmern aus der ganzen Welt. Diese lösungsorientierte agoristische Veranstaltung, bei der fast eine Woche lang täglich Vorträge über Permakultur, Dezentralisierung, mentale Gesundheit und vieles mehr gehalten werden, wurde von John Bush mitbegründet. Er ist mit seiner Live free Academy und vielen anderen aktiv an der Vermarktung der agoristischen Philosophie beteiligt.
Diese neue Generation von Agoristen hat die von Konkin entwickelte Philosophie weiterentwickelt und verfeinert. Neben neuen erfolgreichen Konzepten wie der Exit&Build-Strategie im physischen Raum haben diese Menschen erkannt, dass ein erfolgreicher Agorismus vor allem mit eigener innerer Arbeit und mentaler Stärke einhergeht. Dieser neue Agorismus konzentriert sich daher auch auf die Selbstreflexion und die erfolgreiche Arbeit an den eigenen Süchten und Konditionierungen.
Fazit
Der Agorismus ist weder links noch rechts und lehnt jegliche Form dogmatischer & politischer Narrative ab. Ein Agorist versteht, dass Macht als solches alles und jeden korrumpiert. Somit ist eine korrupte Regierung nicht das Problem, sondern vielmehr das Symptom davon.
Der Agorismus beschreibt die natürlichste und friedlichste Form menschlichen Zusammenlebens. Jeder Mensch auf dieser Welt hat den natürlichen Wunsch Güter und Dienstleistungen ohne unterdrückende, elitäre Markteintrittsbarrieren auszutauschen. Freie Menschen möchten sich freiwillig zusammenschließen und Handel treiben – ohne Einmischungen oder Eingriffe von dritten zu erleben.
Der Begriff Agorismus versteht sich mittlerweile vor allem als ganzheitliches Konzept. Das bedeutet, dass neben dem Streben nach Freiheit in den physischen Sphären dieser Welt, das innere Streben nach Freiheit als mindestens ebenso notwendig und wichtig erachtet wird. Wir müssen uns zuerst selbst von Traumata, bindenden Verträgen, Süchten und feindseliger Programmierung befreien, um wahre Freiheit in unserer Lebensweise verkörpern zu können.
Das letztendliche Ziel ist eine staatenlose Gesellschaft, in welcher die freie Menschheit nicht durch die Gewalt und den Zwang des parasitären Staates und der Unternehmerklasse gefangen gehalten wird.
Und obwohl es in öffentlichen Schulen oder den Mainstream-Medien selten diskutiert wird, gibt es mehrere Beispiele für staatenlose Gesellschaften und Gemeinschaften in der Geschichte. Für diejenigen, die sich für die Erforschung vergangener staatenloser Gesellschaften interessieren, empfehlen wir das Studium von James Scott ‘The Art of Not Being Governed: An Anarchist History of Upland Southeast Asia; A Century of Anarchy: Neutral Moresnet Through the Revisionist Lens; & Pierre Clastres Society Against the State.
